Bergkarabach: Das Ende einer uralten christlichen Zivilisation
Das autoritär regierte Aserbeidschan hat den seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt mit dem demokratischen Armenien über die armenisch besiedelte Region Berg-Karabach mit Hilfe der Türkei im Herbst 2023 militärisch gelöst. Begleitet wurde dies, wie so oft, von heftigen Protestnoten der westlichen Länder, die den einseitigen Angriff auf die Region zwar verurteilten, aber ansonsten nur ohnmächtig zuschauen konnten. Rufe nach Sanktionen gegenüber Aserbeidschan wurden bisher nicht erhört. Die Armenier fühlen sich – wieder einmal – „verraten“. Die bisherige Schutzmacht Russland ließ Aserbeidschan gewähren. Offensichtlich sind die russischen Beziehungen zu der Türkei und Aserbeidschan wegen des Ukraine-Krieges wichtiger als alle Versprechen gegenüber Armenien.
Es sieht so aus, dass eine uralte christliche Zivilisation im Kaukasus-Gebiet aufhört zu existieren. Nahezu alle Einwohner wurden vertrieben, haben Karabach verlassen – eine biblische Dimension – , der Staat wird „abgewickelt“ und verschwinden.
Zur Geschichte: Bergkarabach, oder armenisch Artsakh, ist uraltes armenisches Siedlungsgebiet. In der Antike war es Teil des Königreiches Albania. Bereits im 4. Jahrhundert wurde das Christentum sowohl in Armenien als auch im benachbarten Albania Staatsreligion, im 5. Jahrhundert hatte Karabach eine eigenständige armenisch-christliche Kirche. So wurde 1216 wurde in Bergkarabach das Kloster Gandasar als Sitz des „Katholikos (Oberhaupt der armenisch-Apostolischen Kirche von Albania“) gegründet. Im Mittelalter herrschten in Bergkarabach unabhängige armenische Fürsten als Vasallen des persischen Reiches. 1813 wurde Karabach russisch wie auch die ehemals iranischen Provinzen, die heute Aserbaidschan darstellen. Nach dem Zusammenbruch des Zarenreiches erklärten sich 1918 sowohl Armenien als auch Aserbaidschan für unabhängig und erhoben in erbitterten Kämpfen Anspruch auf Artsakh. Der Einmarsch der Roten Armee 1920 beendete die Kämpfe. Die drei Regionen wurden Teil der Sowjetunion.
Schafft eine willkürlichen Entscheidung Stalins „Völkerrecht“ ?
Stalin sprach Bergkarabach 1921 überraschend aus hinterlistigen Motiven („Flickenteppiche“ zur Stärkung Moskaus) Aserbaidschan zu; 1923 wurde das weit mehrheitlich von Armeniern bewohnte Bergkarabach ein „autonomes Gebiet“ innerhalb der Aserbaidschanischen Sowjetrepublik. 1988 erklärte der Karabacher Gebietssowjet seinen Austritt aus Aserbaidschan mit dem Ziel eines Anschlusses an Armenien. Damals waren gut 75 % der Bevölkerung Armenier. Gleichzeitig verabschiedete das Europäische Parlament eine Resolution, in der die Vereinigung Bergkarabachs mit Armenien gefordert wurde. 1991, infolge des Zerfalls der Sowjetunion, wurden Armenien und Aserbaidschan unabhängig. Am 2. September 1991 aktivierte Bergkarabach Art. 3 des UdSSR-Austrittsgesetzs, indem es die autonome Region Bergkarabach zur Republik erklärte. Am 10. Dezember 1991 wurde ein Referendum in Bergkarabach durchgeführt: 82,2% der Bevölkerung (132.328 Personen) nahm daran teil und 99,89% (108.615 Personen) stimmte mit „JA“ für die Unabhängigkeit von Aserbaidschan, sodass die Zwei-Drittel-Mehrheit, die gem. Art. 6 Abs. 1 UdSSR-Austrittsgesetzs vorgeschrieben wurde, erfüllt war. Am 6. Januar 1992 bestätigte die Republik Bergkarabach ihren Status als unabhängiger Staat in Form der Unabhängigkeitserklärung. Aserbaidschan ignorierte dies. Von 1990 bis 1994 tobte ein erbitterter Krieg zwischen Aserbaidschan und Artsakh/Armenien. Beim Waffenstillstandsabkommen 1994 hatten die armenischen Kräfte den Großteil Bergkarabachs unter Kontrolle wie auch umliegende Gebiete in der Pufferzone zu Armenien. Daraus wurde die Republik Artsakh bzw. Bergkarabach.Legales Selbstbestimmungsrecht der Artsakh-Armenier wurde ignoriert
Die erklärte Unabhängigkeit der Republik Artsakh wurde international nicht anerkannt. Vermittlern gelang es nicht, eine Lösung zu finden. Armenien, das älteste christliche Land der Erde, eine funktionierende Demokratie mit knapp 3 Mio Einwohnern, bestand auf dem legalen Selbstbestimmungsrecht und dem ethnischen Bezug der Artsakh-Armenier; für die es unzumutbar wurde, in dem totalitär regierten Aserbeidschan zu leben. Das sehr reiche Ölland mit 10 Millionen Einwohnern, diktatorisch regiert, bestand auf der territorialen Integrität seines von der UNO anerkannten Staatsgebietes. Der Austritt Bergkarabachs aus Aserbaidschan in 1988 und die Unabhängigkeitserklärung 1991 wurden wohl mangels Interesse der Weltmächte ignoriert.
In einem kurzen Krieg 2020 konnte Aserbeidschan, mit Hilfe der Türkei und Israels (das die kriegsentscheidenden Drohnen lieferte) das von Bergkarabach besetzte Gebiet und einen Teil des eigentlichen Bergkarabach erobern. Russland arrangierte einen Waffenstillstand, stationierte Friedenstruppen und sicherte den dortigen Artsakh-Armeniern Sicherheit und freien Zugang zum Mutterland Armenien zu. 2022 wurde von Aserbeidschan eine Blockade verhängt, im September 2023 der Angriffsbefehl gegeben. Die russischen Truppen verhielten sich passiv, griffen trotz aller früherer Zusicherungen nicht ein.
Fazit: Sind die Ansprüche des erst 1918 entstandenen Staates Aserbaidschan auf Artsakh gerechtfertigt? Die willkürliche Entscheidung des Obersten Sowjet bzw. Stalins in 1921, das armenische Bergkarabach in die Verwaltung Aserbaidschans zu geben, wurde nie korrigiert und ist bis heute die Basis des offiziellen Völkerrechts. Das auch auf UNO-Prinzipien basierte Selbstbestimmungsrecht wurde hingegen nicht angewendet. Dabei hätte der Wunsch der Karabach-Armenier nach Eigenstaatlichkeit im Völkerrecht sogar Vorrang gehabt, wie Völkerrechtler darlegen, wie es zum Beispiel im Fall Kosovo der Fall war.